SB: Sebastian Hauser und Peter Herzog, ihr seid gerade mitten im Aufbau eurer Ausstellung «Geometrie der Existenz». Kernstück der Ausstellung ist eine rund ein Meter hohe Glaspyramide, in der sich eine intakte, sich selbst versorgende Pflanzenwelt befindet. Diese Pyramide habt ihr auf einem Steinsockel platziert, über ihr schwebt eine Metall-Kugel, die die Pflanzenwelt zu bedrohen scheint. Welche Idee steckt hinter dieser Installation?
SH: In der Pyramide ist ein Flaschengarten mit einem eigenen Wasserkreislauf, es gibt Lebewesen, die CO2 ausstossen, und Pflanzen, die Sauerstoff produzieren. Der Garten wird beleuchtet, ansonsten gibt es aber nichts, das von aussen einwirkt. In Innern des Flaschengartens hat sich ein Gleichgewicht eingependelt und …
PH: … alles reguliert sich selbst. Eine Pflanze oder eine Tierart kann nur bis zu einem gewissen Grad ein Übergewicht halten. Sobald das Gleichgewicht zu sehr gefährdet ist und andere Pflanzen rundherum sterben, gefährdet die Pflanze oder die Tierart auch sich selbst. So ein Flaschengarten ist ein autarkes Ökosystem und funktioniert wie unser Planet, bei dem sich allerdings gerade das Gleichgewicht durch den Klimawandel etwas auspendelt.
SH: Die Ausstellung wäre ursprünglich anfangs 2021 geplant gewesen. Nun waren wir aber durch die coronabedingte Verschiebung froh, dass wir für den Flaschengarten noch ein Jahr mehr Zeit hatten, damit sich ein Gleichgewicht einstellen konnte. Dieses zu erreichen, war nämlich nicht ganz einfach: Zuerst hatte er zu viel Wasser drin, dann zu wenig Wasser. Dann tauchten Fliegen auf, dann plötzlich Schnecken, die alle bereits in der Erde drin waren und nach und nach erwachten. Aktuell gibt es recht viele Würmer, die das Objekt von innen verschmutzen. Gewisse Pflanzen sind am Sterben, andere nehmen überhand. Aber das wollten wir ja auch.
PH: So paradiesisch wie auf dem Bild, das die Ausstellung ankündet, sieht der Flaschengarten längst nicht mehr aus. Aber die Installation stellt Fragen zur Beziehung von Innen und Aussen: Wir sind ausserhalb des Flaschengartens und können nicht hinein. Gleichzeitig befinden wir uns aber auch in einem Innen, unserer eigenen Welt. Es gibt also eine Art Verschachtelung, die ein Nachdenken anregen soll über unseren Umgang mit der Natur.
SH: Bei dieser «Natur» im Flaschengarten stellt sich ja zum Beispiel die Frage: Wie frei ist diese Natur dort drin? Die Natur in diesem Flaschengarten ist ja sich selbst überlassen. Die «absolute Natürlichkeit» gibt es aber an sich nicht, genauso wie es sie auch in einem Nationalpark nicht gibt. Dort überlässt man die Natur bis zu den Grenzen des Parks sich selbst, sie darf jedoch die Grenzen nicht überschreiten. De facto haben wir die Natur, die um uns herum ist, eingesperrt. Wäre es da nicht konsequent, diese Glaspyramide kaputt zu machen, um die Natur zu befreien? Oder ist es gerade gut, dass sie eingesperrt ist und von äusseren Einflüssen abgeschottet wird? Das Gleichgewicht geht ja dann über die Pyramide hinaus.
SB: Die Glaspyramide schützt den Flaschengarten vor unmittelbaren äusseren Einflüssen. Gleichzeitig habt ihr die Installation aber so konzipiert, dass die Pyramide theoretisch von den Besucher*innen zerstört werden könnte – was interessiert euch an der Konfrontation der Besucher*innen mit ihrem eigenen Handeln?
PH: Genau, die Installation haben wir durch verschiedene Elemente erweitert: Über der Glaspyramide schwebt eine Metall-Kugel, die an einem Seil befestigt ist. Dieses Seil haben wir durch den ganzen Ausstellungsraum gespannt. Am Ende des Seils hängt ein Kübel, in dem sich verlockende Schöggeli befinden. Wenn die Besucher*innen so ein Schöggeli rausnehmen, wird der Kübel immer leichter, die Kugel senkt sich und bedroht dadurch das fragile Ökosystem in der Pyramide. Weil aber eine Mauer den direkten Blick auf die Pyramide versperrt, nehmen die Besucher*innen die Auswirkungen ihres Handelns erst wahr, wenn sie den Raum betreten.
SH: Ob die Pyramide kaputtgeht, werden wir erst im Lauf der Ausstellung herausfinden. Aber der Bewegungsimpuls durch das Seil wird auf jeden Fall bemerkbar sein.
PH: Der gefährdete Flaschengarten spielt damit natürlich direkt auf Themen wie Klimawandel und Konsum an: Wie viele Menschen machen sich wirklich Gedanken darüber, was ihr Konsumieren eigentlich für Auswirkungen hat? Die Ausstellung symbolisiert dieses unbedachte Konsumieren in verschiedenen Kontexten: Der Flaschengarten ist eingebettet in eine uferlose PET-Landschaft. In der Schweiz sammeln wir PET und werfen es in Container. Wir wissen aber nicht, wie viel PET tagtäglich weggeworfen wird und was danach damit passiert. Das wollten wir mit einer PET-Müllhalde sichtbar machen, in der sich 60 Kubikmeter PET befinden, die während einer Woche in der Maag Recycling gesammelt wurden. Indem die Besucher*innen über den PET-Abfall laufen müssen, wird das Konsumieren, das Wegschmeissen und dieses «aus den Augen, aus dem Sinn» erfahrbar. Denn das PET ist ja noch da, auch wenn man es weggeworfen hat.
SH: Die Ausstellung hat sicherlich einen didaktischen Ansatz. Aber gleichzeitig ist es auch lustvoll, durch die PET-Landschaft zu laufen. Uns war wichtig, dass es auch spielerische Elemente in der Ausstellung hat. Die Besucher*innen sollen vor allem selber was draus machen: Wir hoffen, dass Kinder wie Erwachsene in die PET-Landschaft springen und keine Hemmungen haben, da rumzutoben.
SB: Der Titel der Ausstellung lautet «Geometrie der Existenz». Geometrie steht für Rationalität und Ordnung. Was interessiert euch an der Geometrie? Und steht das spielerische Interagieren nicht in einem Widerspruch dazu?
PH: Der Titel ist vermutlich das Element der Arbeit, das am wenigsten Humor drin hat. Er ist eine Referenz an die klaren Abläufe in der Natur. Wenn diese gestört werden, passiert etwas anderes, das aber ebenfalls geometrisch geordnet ist. Die Geometrie bringt Relativität ins Spiel, es könnte schliesslich alles auch anders sein. Vielleicht lässt der Hinweis auf die «Geometrie der Existenz» darüber nachdenken, was Existenz überhaupt bedeutet?
SH: Die Geometrie liegt als Basis allem zugrunde: Nicht nur das Gleichgewicht, sondern auch das Chaos ist irgendwie geometrisch geordnet. Wir wollen ja nicht per se moralisch sein und lamentieren, wie schlecht alles ist, sondern auch einen lustvollen, künstlerischen Zugang zu Themen entwickeln. Das Bild von der Möwe, die sich in einer Sixpack-Halterung verfangen hat, kennen alle. Eine Abfallhalde, die Lust macht, reinzugehen, macht etwas Interessantes mit uns.
PH: Genau, die Leute sollen zum Spielen ermutigt werden und das Gefühl mitnehmen, dass sie selbst etwas machen oder verändern können. Ein humorvoller Zugang ist etwas vom Wirksamsten, um auf ein Thema aufmerksam zu machen. Der darf nicht verloren gehen.
SB: Inwiefern seht ihr euch als Künstler in der Verantwortung, euch mit Fragen auseinanderzusetzen, die das Klima, Globalisierung und Konsum betreffen?
SH: Ich glaube, es ist schwierig, unpolitische Kunst zu machen. Kunst selbst soll und muss nichts, aber sich als Künstler*in aus allem rausnehmen, geht auch nicht. Man ist ja schliesslich Teil der Welt.
PH: Ich habe persönlich den Anspruch an Kunst, dass sie etwas bei mir auslöst, also dass durch den Besuch einer Ausstellung etwas mit mir passiert. Was genau das ist, ist aber offen und muss auch nicht bei allen das Gleiche sein. Manche verspüren Freude, andere Wut oder Ekel.
SH: Ich finde es ja viel spannender, mir über PET-Recycling generell Gedanken zu machen, als mir die Frage zu stellen, ob unsere Arbeit hier nun bedeutsam ist. Hier im oxyd liegen nun 60 Kubikmeter PET. Wenn alle Menschen die Luft aus den PET-Flaschen rauslassen würden, hätten wir 40 Prozent weniger PET-Volumen. Das bedeutet, dass 40 Prozent weniger Lastwagen rumfahren würden.
PH: Und noch interessanter ist doch die Frage, warum so viele etwas so Simples nicht schaffen: Sie müssen ja nur den Deckel öffnen, die Luft rausdrücken und den Deckel wieder draufschrauben, oder? Und PET-Recycling ist ja nur ein Down-Cycling: PET lässt sich irgendwann nicht mehr rezyklieren, das heisst, es bleiben Überreste bestehen, die nicht mehr weiterverwendet werden können, aber auch nicht aus der Welt sind.
SH: Und auch die Metall-Kugel ist so ein Objekt, anhand dessen sich viele Fragen diskutieren lassen. Wir konnten die Kugel ja nicht selbst machen, also haben wir eine bestellt bei der Firma «Shiny Balls».
PH: Die ist natürlich in China.
SH: Eine Firma, bei der man online supereinfach Kugeln bestellen kann, von 5 Millimeter bis mehrere Meter Durchmesser.
PH: Wir bestellen also in China eine Kugel mit 80 Zentimeter Durchmesser. Es reicht, eine E-Mail zu schreiben. Dann wird die Kugel hergestellt, verpackt und verschifft; einen Monat später ist sie bereits hier. Der Akt, dass wir die Kugel in China bestellt haben, demonstriert die ganze Absurdität unseres Systems, aus dem wir uns als Künstler selbst ja auch nicht rausnehmen können.
Zu den Personen
Hauser & Herzog sind die Künstler Peter Hauser aus Zürich und Sebastian Herzog aus Winterthur. Die beiden trafen sich 2008 an der Zürcher Hochschule der Künste, wo beide Fotografie und bildende Kunst studierten. Ihre Arbeiten bewegen sich zwischen grossen Fragen der Gegenwart und kleinen Freuden des Alltags. www.hauserundherzog.ch
Das Gespräch mit Hauser & Herzog führte Sandra Biberstein am Montag, 3. Januar 2022, als die Ausstellung noch im Aufbau war. Das Interview erschien in der Ausgabe N°103 Februar 2022 des Kulturmagazin Coucou.
Infos zur Ausstellung
Geometrie der Existenz, Hauser & Herzog
13. Januar bis 6. März 2022
Freitag, 16 bis 20 Uhr,
Samstag und Sonntag, 14 bis 17 Uhr
Eintritt frei
oxyd Kunsträume, www.oxydart.ch