Es gibt keine Bio Art!

Text: Magdalena Sick-Leitner

Jens Hauser ist Kurator, Medien- und Kunstwissenschaftler sowie Kulturpublizist und hat an der Schnittstelle von Kunst und Biologie einige der bekanntesten Ausstellungen kuratiert, wie beispielsweise Still, Living (2007) auf der Biennale of Electronic Arts Perth, sk-interfaces (2008) als Beitrag zum Programm von Liverpools Jahr als Kulturhauptstadt Europas und synth-ethic (2011), eine Ausstellung am Naturhistorischen Museum Wien über Kunst im Kontext der synthetischen Biologie.

Jens Hauser skizziert in seinen Arbeiten die Herausforderungen neuer «Biomedien», die die Möglichkeiten und Grenzen bisheriger Medien übersteigen und in den letzten Jahren zunehmend künstlerisch eingesetzt worden sind: die sogenannte «Bio Art» ist eine der Tendenzen in der Sparte Hybrid Art, einer der sechs Kategorien des Prix Ars Electronica im Jahr 2015, für die Jens Hauser die Rolle eines Jurors übernommen hat.

Magdalena Sick-Leitner konnte mit ihm während des Jurymeetings in Linz über «Biomedialität» sprechen, über die Grenze zwischen Kunstwerk und  wissenschaftlichem Experimenten und hat dabei auch erfahren, dass es vielleicht gar keine «Bio Art» gibt.

Jens Hauser, Sie haben Film- und Fernsehwissenschaften, Medienwissenschaften, und Wissenschaftsjournalistik studiert. Wann haben Sie das Interesse für Kunst und Biologie entdeckt? Was fasziniert Sie am Zusammentreffen dieser beiden Bereiche?

Jens Hauser: Ich konnte mich nach dem Abitur überhaupt nicht entscheiden, ob ich lieber Biologie oder Medienwissenschaften bzw. Filmwissenschaften studieren sollte. Insofern hat mich diese Entscheidung immer verfolgt, weil man sich ja irgendwann fragt, ob man den richtigen Weg gewählt hat. Ich bin dann nach einer Phase im Kultur- und Wissenschaftsjournalismus darauf aufmerksam geworden, dass Kunst mit sogenannten neuen Medien nicht mehr nur auf physikalischen und elektronischen Prozessen basiert, sondern zunehmend auch auf biologischen oder biotechnischen Prozessen. Das hat für mich die Möglichkeit geschaffen, diesen ursprünglichen Interessensdrang, Lebensprozesse zu studieren, mit künstlerischen Aktivitäten zu verbinden. Was ich besonders interessant finde, ist, dass die ganze Kunstgeschichte eigentlich von Lebensallusionen, -repräsentationen, -imitationen, -simulationen und jetzt auch -manipulationen durchzogen ist. So ist die ganze Kunstgeschichte eben auch eine Geschichte des Lebendigen. Wenn man sich die frühen anthropomorphen Statuen und die Automaten von Byzanz ansieht, die Definition des Kunstwerks selbst als Organismus in Betracht zieht und diese Spur bis zur sogenannten genetischen Kunst verlängert, bemerkt man, dass das Faszinosum des Lebendigen für die Kunst immer sehr zentral gewesen ist.

Diese hybride Form von Kunst und Biologie wird oft «Bio Art» genannt. Was das genau ist, wird unter Künstlerinnen und Künstlern vielfach diskutiert. Was verstehen Sie unter «Bio Art»? Ist es überhaupt die richtige Bezeichnung für diese Art der Kunst?

Jens Hauser: «Bio Art» gibt es nicht – oder es gibt nur «Bio Art», ist Kunst doch etwas, das immer einen Betrachter oder eine Betrachterin miteinbindet, und zumindest der oder die ist immer biologisch. Das Interessante an der Kunst, die im materialen Sinne Lebensprozesse inszeniert, simuliert oder manipuliert, ist, dass man eine Art Beobachtung zweiter Ordnung schafft, indem ein lebendiges System ein anderes lebendiges System betrachtet bzw. mit ihm interagiert. Das Irreführende an dem Begriff «Bio Art» ist, dass er im Prinzip den Interaktionsradius auf das biologische «Objekt» reduziert, ungeachtet der speziellen Situation, dass ein Mensch als biologischer Beobachter ein biotechnologisch ästhetisches Objekt, oder auch Subjekt, betrachtet. Darin liegt aber die eigentliche Faszination solcher Kunst. Wir reagieren ja auch deshalb auf diese Arbeiten teilweise sehr verstört, weil wir genau wissen oder fühlen, dass wir in der gleichen Materialität geschaffen sind, wie das ästhetische «Objekt», das wir gerade betrachten. Darüber hinaus ist der Begriff «Bio Art» oft sehr undifferenziert verwendet worden – manche Künstlerinnen und Künstler reklamieren ihn zum Beispiel auch für ihre malenden Roboter oder chromosomförmigen, klassischen Skulpturen. Und Bios hängt immer davon ab, welches Charakteristikum des Lebendigen man zentral setzt, und welches man vernachlässigt – die Frage nach dem, was das Leben ausmacht, ist bekannter Weise ja eine höchst philosophische.

Sie haben eine Theorie der Biomedialität formuliert. Was ist das genau?

Jens Hauser: Ich habe meine Dissertation als eine Theorie der Biomedialität geschrieben, in der ich analysiere, welche von den augenblicklich existierenden Medien – die auf elektronischen und physikalischen Prozessen basieren – Speichern, Übertragen und Prozessieren können, Entsprechungen im Biologischen haben. Ich habe untersucht, was im biotechnologischen Zeitalter unter Einfluss der sogenannten Konvergenztechnologien von biologischen Medien geleistet werden kann, und was sie potentiell an organischen Medienfunktionen hinzufügen – sich zu adaptieren und selbst zu reparieren. Biomedialität umfasst beispielsweise Prozesse, die dem Lebendigem in ihrer Struktur eigen sind, sodass heute der Medienbegriff erweitert werden muss.

Ich schätze den österreichischen Medientheoretiker Walter Seitter und seine «Physik der Medien»; ich habe nun versucht, eine «Biologie der Medien» zu schreiben. Wenn man einen Biologen bittet, sein Medium mitzubringen, dann bringt er keinen Fernseher, sondern er bringt einen Behälter mit Wachstumsmedien. In diesem Sinne werden Medien als «Ermöglichkeitsbedingungen» und nicht nur als Radio oder als Computer verstanden. Wir haben uns an eine sehr eintönige Mediendefinition gewöhnt, aber wir müssen realisieren, dass es auch noch andere Definitionen gibt, in der ein Medium jeweils als Milieu, als Mittel, mit dem man etwas machen kann, oder auch als Instanz von Messung verstanden wird. Und all diese Funktionen, die normalerweise auf elektronischen, mechanischen Apparaten basieren, können auch ins Biologische übertragen werden.

«Bio Art» agiert oft zwischen den unscharfen Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft. Ein bekanntes und stark diskutiertes Beispiel ist das Leuchtkaninchen des brasilianischen Künstlers Eduardo Kac. Wo ist die Grenze zwischen einem Kunstwerk und wissenschaftlichen Experimenten? Welche Rolle spielt Ethik in der «Bio Art»?

Jens Hauser: Zunächst einmal sind ethische Fragen in der sogenannten «Bio Art» meist grundsätzlich eine zentrale Frage, weil man natürlich mit Lebensprozessen agiert und dort ethisch gesehen zunächst einmal die gleichen Regeln gelten wie auch im Labor. Nur werden hier zum Beispiel bei Kac’s performativer Aktion seines «GFP Bunny» die Standards, die im Labor immer darauf abzielen, dass für das «menschliche Tier» Fortschritte erzielt werden, daraufhin hinterfragt, in wie weit man wirklich alles im Namen des Menschen rechtfertigen kann. Kac wollte ein Labor-Objekt zum sozialen Subjekt machen. Viele dieser Projekte hinterfragen deshalb das Menschsein an sich, und des Menschen vorgeblich herausragenden Status. Die Stoßrichtung der Ethik geht dann auch in eine ganz andere Richtung: sie fragt nicht nur danach, ob ein Künstler oder eine Künstlerin dieses und jenes überhaupt machen darf, sondern es geht vielmehr darum, was sich der Mensch eigentlich anmaßt zu tun, zum Beispiel auch im Rahmen der Forschung.

Die Schwelle zwischen Kunst und Wissenschaft ist meines Erachtens eher eine zwischen Kunst und Technowissenschaft, weil es in den meisten Fällen weniger um Erkenntnisprozesse geht als um die technische Anwendung von Möglichkeitsbedingungen. Im Falle von Eduardo Kac ist es eher eine Zweckentfremdung gewesen: Ein bekanntes wissenschaftliches Tool wird ästhetisch zweckentfremdet. In dieser Kunst ist Zweckentfremdung oft zentral, aber es gibt natürlich auch Projekte, in denen tatsächlich auch ein Erkenntnisgewinn, ein alternativer Erkenntnisgewinn, in Aussicht gestellt wird. Ich denke da zum Beispiel an Projekte von Adam Brown, der an der Michigan State University zusammen mit dem Physiologen Robert Root-Bernstein die Installations-Serie «Origins of Life» gemacht hat, bei der Experimente aus den 50er und 60er Jahren wiederholt und neu inszeniert werden. In diesen Experimenten wurde gezeigt, dass man Aminosäuren, also Lebensbausteine, aus einfachen Chemikalien, Gasen und Energie herstellen kann. Brown und Root-Bernstein haben eine ganze Reihe dieser «Origins of Life»-Installationen gemacht und auch wissenschaftliche Erkenntnisse daraus gewonnen, die man in der Forschung heute gar nicht mehr finanziert hätte. Es gibt Beispiele in beide Richtungen, wo man eine gegenseitige Befruchtung feststellen kann.

Sie waren Juror in der Kategorie Hybrid Art. Was muss ein Projekt mitbringen, um Ihrer Meinung nach eine Goldene Nica zu gewinnen?

Jens Hauser: Ich glaube, gerade in der Kategorie Hybrid Art kann man heute nicht mehr lediglich die Effekte, Funktionen oder die Formen beurteilen. Man muss im Prinzip die Medien dahinter lesen und danach beurteilen, wie diese zusammengeschaltet sind und wie sie durch diese neue hybride Zusammenschaltung neue Denkverbindungen anregen, die es vorher nicht gab. Es ist auch interessant, wenn aus der Kondensierung ganz verschiedener, auf den ersten Blick weit auseinanderliegender ästhetischer Bereiche, Qualitäten oder auch Wissensbereiche neue Denkräume eröffnet werden – und dies häufig in einer Form, die verstört, überrascht, aber vor allen Dingen auch epistemologisch, also wissenschaftstheoretisch, herkömmliche Sichtweisen verändert. So denke ich, ist das in den letzten Jahren bei den Projekten in der Kategorie Hybrid Art auch der Fall gewesen.

 

Video 1: Das Gewinnerprojekt des Prix Ars Electronica 2015 in der Kategorie Hybrid Art: Plantas Autofotosintéticas von Gilberto Esparza. 

Video 2: At the Prix Ars Electronica Forums, 2015 honorees will talk about their works, motifs and motivations. In accordance with the Art & Science motto, the proceedings at this year’s Ars Electronica Festival will focus on the interplay and reciprocal impact of science and art.

 

Jens Hauser arbeitet als Kurator und Medienwissenschaftler in Kopenhagen und Paris. Seit seinem Studium der Medienwissenschaften und der Wissenschaftspublizistik beschäftigt er sich mit Interaktionen zwischen Kunst und Technologie. Derzeit bekleidet er eine Forschungsstelle am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaft der Københavns Universitet sowie am Medical Museion der gesundschaftswissenschaftlichen Fakultät. Hauser ist auch Distinguished Affiliated Faculty Member des Department of Art, Art History and Design an der Michigan State University. Er hat u. a. folgende Ausstellungen kuratiert: L’Art Biotech (Nantes, 2003), Still, Living (Perth, 2007), sk-interfaces (Liverpool, 2008/Luxemburg, 2009) sowie die Article Biennale (Stavanger, 2008), Transbiotics (Riga, 2010), Fingerprints… (Berlin, 2011/München, 2012) und Synth-ethic (Wien, 2011).