Tadeusz Kantor begann sich Anfang der 1960er-Jahre auf das Konzept der Emballagen zu konzentrieren. Im Wörterbuch fand der Theaterregisseur, Maler, Bühnenbilder, Avantgarde-Künstler und Theoretiker das Wort «Emballage», das im Französischen «einwickeln» bedeutet. Zu seiner Entdeckung schrieb er:
«Aber in der französischen Sprache klingt es wie Collage, die in der Kunst-Terminologie bereits einen festen Platz eingenommen hat. … Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass Emballage viel mehr ist als eine provokative – wie bei den Dadaisten – A n w e s e n h e i t des Gegenstandes. Die Emballage ist eine H a n d l u n g und eine T ä t i g k e i t, die selbstverständlich mit dem Gegenstand verbunden sind. Dies ist der grundlegende Unterschied, der im Happening weitere Konsequenzen hat. Schon das Einwickeln allein birgt in sich eine sehr menschliche Leidenschaft und ein sehr menschliches Bedürfnis nach Aufbewahren, Absondern, Überleben und Weitergeben. Und dann birgt es noch den Geschmack des Unbekannten und des Geheimnisses in sich.
Das immer komplizierter werdende Emballage-Zeremoniell hat alle Chancen, zu einem uneigennützigen, sehr oft obsessiven Prozess zu werden.» [1]
Auch notierte Kantor einen kurzen Abriss zur Geschichte dieser Prozedur und Methode in seinem Werk. Denn in jenem Augenblick, in dem er die Emballage entdeckt hatte, «das heisst, in dem ich mir ihrer Einzigartigkeit bewusst wurde, uns die von der Lebenspraxis getrennt habe»[2], hatte sie nämlich eine Faszination in ihm ausgelöst. «Sie war imstande, über lange Zeit hinweg eine Antriebskraft für mich zu sein.»[3] Zur Idee der Emballage müsse er sich deshalb eingestehen, «dass der Verschmelzungsprozess dieser Prozedur mit der Auffassung der schöpferischen Tätigkeit einige Zeit in Anspruch genommen hat.»[4]
Weil das Manifest «Emballages» als eines der berühmtesten Kunstmanifeste des 20. Jahrhunderts gilt, soll an dieser Stelle an dieses erinnert werden:
Das Manifest «Emballage»
Als Erstes sollten gewisse,
die Emballage begleitende Merkmale
klassifiziert werden.
Es wäre aber unvorsichtig
zu versuchen,
irgend etwas zu verallgemeinern
oder Definitionen aufzustellen.
Dies ist übrigens kaum möglich …
EMBALLAGE, EMBALLAGE …
Das besagt Phänomen ist nämlich
vieldeutig,
ja, schlimmer noch –
zweideutig.
Stellen wir gleich am Anfang fest,
dass die Emballage
eigentlich ausserhalb der Realität existiert.
Man könnte also in ihr,
EMBALLAGE … EMBALLAGE … EMBALLAGE …
metaphysische Möglichkeiten erspähen.
Andererseits jedoch
erfüllt sie
eine so prosaische
utilitäre
und platte Funktion,
ist sie so restlos
jenem Inhalt, der zählt, unterworfen,
dass sie nach der Wegnahme dieses Inhaltes –
unnützlich,
unbrauchbar,
ein elender Rest
des Glanzes
und der Bedeutung,
EMBALLAGE … EMBALLAGE …
völliger Inhaltslosigkeit
gebrandmarkt
und beschuldigt –
ihren Glanz
und ihre Aussagekraft rasch verliert.
EMBALLAGE … EMBALLAGE …
An dieser Stelle aber sollte man
unparteiisch
die Ungerechtigkeit des Schicksals
feststellen.
Einmal
wird ihr eine ungemein hohe Bedeutung beigemessen,
von ihrer «Haltung»,
von ihrem Aussehen,
von ihrer Aussagekraft,
Expression,
Genauigkeit;
Kohärenz,
«Undurchlässigkeit»
wird – allgemein gesprochen –
irgend ein Erfolg
abhängig gemacht.
Doch gleich danach
wird sie unbarmherzig verworfen
und auf diese Weise
zur Lächerlichkeit,
Verachtung, zum Vergessen
und zum Niedergang verdammt.
Dispropotionen dieser Art
vergrössern noch
das Chaos der Missverständnisse
und Widersprüche,
und berauben jede Intention
einer Seriöseren Klassifizierung
den gesunden Verstand.
EMBALLAGE …
Das besagt Phänomen
balanciert also
zwischen,
EMBALLAGE … EMBALLAGE …
der Ewigkeit
und dem Müllhaufen.
Wir werden Zeugen
einer eigenartigen Clownerie,
die mit dem Phatos
und jämmerlichen Niedergang jongliert.
EMBALLAGE … EMBALLAGE … EMBALLAGE.
Welch’ unbegrenzte Möglichkeiten.
EMBALLAGE …
Irgend eine zusätzlich mit ihrer verbundene
Handlung
besitzt
alle Reize
und alle Geheimnisse
einer vollkommenen Uneigennützigkeit,
besonders wenn wir bemerken,
dass sie sich
im vollen Bewusstsein
des fatalistischen Endes
vollzieht.
Untersuchen wir
einige Phasen dieses Rituals:
Das E i n w i c k e l n
Dessen komplizierter Vorgang
Einweigung erfordert;
Und der immer überraschende Endeffekt
irgend etwas von Mague
und von Kinderspiel
an sich hat;
Das V e r s c h n ü r e n
bei dem die Kenntnis der Knoten
beinahe an sakrale Traditionen grenzt;
das Z u k l e b e n –
immer mit Andacht
und Aufmerksamkeit.
Diese Entwicklung von Aktivitäten
diese Zugabe von unerwarteten Effekten
und ausserdem
das menschliche Bedürfnis
und die menschliche Leidenschaft,
etwas aufzubewahren,
zu isolieren,
zu verstecken,
weiterzugeben,
stellen einen fast automatischen Prozess dar.
Welch’ eine Chance.
Übersehen wir nicht
ihre emotionalen Möglichkeiten.
Die Emballage beinhaltet viele davon:
das Versprechen,
Die Hoffnung,
die Vorahnung,
die Verlockung,
den Geschmack des Unbekannten
und des Geheimnisses.
EMBALLAGE …
Versehen mit den Symbolen
der Vorsicht,
der drängenden Eile,
der Hierarchie;
Der Wichtigkeit verschiedener Grade;
mit Zeichen ihrer Zeit
und ihres Gewichts;
EMBALLAGE …
Mit Bestimmungs-Adressen,
mit Symbolen der Mächte,
die die Kraft einer Beschwörung haben;
mit Versprechungen:
der Wirksamkeit,
der Dauerhaftigkeit;
der Vollkommenheit.
Die Emballage taucht auf
in verschiedenen Situationen:
In den alltäglichen
und in den aussergewöhnlichen,
in den unbedeutenden
und in den komischen,
in den grossen
und in den endgültigen
EMBALLAGE …
Wenn
man etwas sagen will,
etwas sehr Wichtiges
Und Wesentliches
und Persönliches.
EMBALLAGE …
Wenn
man etwas schützen will,
sichern,
(damit es überdauert)
und vor dem Zahn der Zeit
bewahren will,
EMBALLAGE …
Wenn man etwas verstecken will,
sehr tief,
EMBALLAGE …
etwas von der Welt isolieren,
vor Einmischung,
Ignoranz
und Gemeinheit schützen will.
EMBALLAGE …
EMBALLAGE …
EMBALLAGE …
(Februar 1964)
aus: Kantor, Tadeusz: Ein Reisender – seine Texte und Manifeste, Nürnberg 1988. Übersetzung aus dem Polnischen von Piotr Nawrocki, S. 93-97.
[1] Kantor, Tadeusz: Ein Reisender – seine Texte und Manifeste, Nürnberg 1988. Übersetzung aus dem Polnischen von Piotr Nawrocki, S. 97.
[2] Ebd. S. 98.
[3] Ebd. S. 97.
[4] Ebd. S. 97.